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Erfolgreiche Durchsetzung

Änderung von Steuerbescheiden
Neue Tatsachen i.s.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und unlautere Mittel i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO (Bundesfinanzhof Urteil vom 8.7.2015, VI R 51/14)

Wurde dem Finanzamt der für die Besteuerung maßgebliche Sachverhalt im Veranlagungsverfahren vollständig offengelegt, handelt er nicht arglistig und bedient sich auch nicht unlauterer Mittel, wenn er sich im Einspruchsverfahren weiterhin auf Angaben in der Lohnsteuerbescheinigung bezieht, denen nach Auffassung des Finanzamts eine unzutreffende rechtliche Würdigung des Arbeitgebers zugrunde liegt.

Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Mandantschaft als Prozessbevollmächtigte in erster Instanz vor dem Finanzgericht Sachsen-Anhalt und in zweiter Instanz vor dem Bundesfinanzhof vertreten.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO darf ein Steuerbescheid nur dann geändert oder aufgehoben werden, wenn dieser durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Arglistige Täuschung ist jedes vorsätzliche Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird.

Zu klären war in diesem Fall, ob der bestandskräftige 1. Einkommensteuerbescheid für 2007
vom 4. Februar 2009 durch das Finanzamt noch (bestandskraftdurchbrechend) hätte geändert werden dürfen.

Unsere Mandantin war im Streitjahr u.a. bei einer Wohnungsbaugesellschaft mbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde per 30. Juni 2017 durch einen Auflösungsvertrag beendet. Der Auflösungsvertrag sah eine Abfindung in Höhe von € 174.034 vor, von der ein Teilbetrag in Höhe von € 50.017 in eine Direktversicherung für unsere Mandantin einbezahlt werden sollte. Der laufende Bruttoarbeitslohn betrug in diesem Zeitraum € + 23.037. Darüber hinaus erzielte unsere Mandantin im Streitjahr aus einem neuen Beschäftigungsverhältnis weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von € + 6.920.

Die Arbeitgeber unserer Mandantin übermittelten dem Finanzamt elektronisch:

  • für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2007 einen Bruttoarbeitslohn von € -26.980
    (€ + 23.037 - € - 50.017) sowie darüber hinaus noch einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn in Höhe von € + 174.034
  • und vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2007 einen Bruttoarbeitslohn von € + 6.920.

Die Einkünfte wurden in der Einkommensteuererklärung 2007 in Übereinstimmung mit dieser (falschen) entsprechend erklärt.

Nachdem das Finanzamt Unterlagen zur Berechnung und Zahlungsweise des ermäßigt besteuerten Arbeitslohns und eine Aufstellung zur Ermittlung des negativen Bruttoarbeitslohns angefordert hatte, wurde die Einkommensteuer 2007 mit 1. Bescheid vom 25. November 2008 abweichend von der Erklärung / Vorausberechnung aber materiell zutreffend höher festgesetzt.

In seinen Erläuterungen wies das Finanzamt zutreffend daraufhin, dass der Bruttoarbeitslohn
€ + 29.957 (€ + 23.037 + € + 6.920) betrage und der in die Direktversicherung eingezahlte Betrag
(€ 50.017) steuerfreie Einkünfte darstelle, die von der Abfindungszahlung abzuziehen sei, sodass die ermäßigt besteuerten Einkünfte nur noch € + 124.017 betragen.

Hiergegen legte die bis dahin noch zuständige Vorberaterin unserer Mandantin Einspruch ein und beantragte „lapidar“ die erklärungsgemäße Veranlagung in Übereinstimmung mit der beigefügten Vorausberechnung.

Bemerkenswerterweise gab das Finanzamt diesem Einspruch mit geänderten 2. Bescheid vom 4. Februar 2009 in vollem Umfang statt und setzte damit eine materiell viel zu niedrige Einkommensteuer fest und zahlte den sich ergebenden hohen Erstattungsbetrag auch aus.

Im Rahmen einer späteren Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Wohnungsbaugesellschaft mbH stellte der Lohnsteuerbetriebsprüfer des (gleichen) Finanzamts fest, dass durch eine fehlerhafte Lohnsteuerschlüsselung die Beiträge zur Direktversicherung:

  • nicht mit der Abfindung (wäre materiell zutreffend gewesen)
  • sondern falsch mit dem „laufenden“ tariflich zu versteuerndem Bruttoarbeitslohn

verrechnet worden waren.

Dieser Fehler führte auf der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung zu einem negativen (tariflich zu besteuernden) Bruttoarbeitslohn(€ - 26.980). Vielmehr hätte zutreffend ein Bruttoarbeitslohn
von € + 29.957 und eine steuerbegünstigte Abfindung von € + 124.107 bescheinigt werden müssen.

Der Arbeitgeber beantragte (statt einer Arbeitgeberhaftung) zulässigerweise eine Auswertung über Kontrollmitteilung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der ehemaligen Arbeitnehmerin.

Daraufhin erließ das Finanzamt „nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO“ einen geänderten 3. Bescheid mit Datum vom 8. April 2010 und berücksichtigte – wie im ursprünglichen 1. Bescheid vom 25. November 2008 – einen Bruttoarbeitslohn von € + 29.957 und eine Entschädigung von € + 124.017.

Nach vorangegangenem – erfolglosen – Einspruchsverfahren und hiergegen erhobener Klage gab das Finanzgericht Sachsen-Anhalt statt.

Das auf Veranlassung des Finanzamts angestrengte Revisionsverfahren wurde durch den Bundesfinanzhof als unbegründet = zugunsten der Steuerpflichtigen zurückgewiesen.

Eine Änderung des 3. Steuerbescheides vom 4. Februar 2009
nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO“ schied im vorliegenden Fall aus, da dem Finanzamt bereits bei Erlass des 1. Bescheides sämtliche für die Besteuerung erforderlichen Tatsachen und Beweismittel bekannt waren.

Auch eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO“ schied ebenfalls aus, da eine arglistige Täuschung nicht vorliegt. Dem Finanzamt war der Sachverhalt bereits vollständig offengelegt worden und es hatte daraus bereits die materiell richtigen Folgerungen gezogen. Hinsichtlich der lohnsteuerlichen Behandlung der Abfindung handelte es sich lediglich um eine gegenüber dem Finanzamt abweichende rechtliche Würdigung. Eine abweichende Rechtsauffassung im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist aber weder arglistig noch unlauter.

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